Logo der Deutsche Handelskammer in Österreich

Transformation und Herausforderungen

  • News

Rede DHK Präsident Hans Dieter Pötsch zur Zukunft der Wirtschaft und Automobilindustrie in Deutschland und Österreich

Hans Dieter Pötsch steht hinter dem DHK Redepult auf einer Bühne mit DHK Partnerwand bei der GV 2024.

Anlässlich der 69. DHK Generalversammlung am 23. Oktober 2024 im Hotel Imperial Riding School in Wien sprach DHK Präsident Hans Dieter Pötsch über die wirtschaftlichen Herausforderungen für Deutschland und Österreich, seine Einschätzung zur Lage der Automobilindustrie, deren Transformation in einem unsicherem Umfeld und Wege aus der Krise.

 

„Es ist schon eine außergewöhnliche Situation, die Österreich und Deutschland durchlaufen – nämlich die längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine Rezession, die sich zu verfestigen scheint. Nach aktuellen Prognosen erwarten wir in Deutschland für das Jahr 2024 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um bis zu 0,2 %. In Österreich sind die Erwartungen noch schlechter. Derzeit prognostizieren die Wirtschaftsforscher einen Rückgang von 0,6 % für dieses Jahr. Der sonst übliche Wettbewerb zwischen beiden Ländern spielt sich diesmal nicht um die vorderen Ränge ab. Sondern bedauerlicherweise um die Trophäe der Roten Laterne innerhalb der EU ab. Die Ursachen für den gemeinsamen Wirtschaftsabschwung sind vielschichtig.

 

Vom Konsum in unseren beiden Ländern geht kein Impuls aus. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland bewegen wir uns knapp über der Nulllinie für dieses Jahr und zwar zwischen 0,1 und 0,2 %. Obwohl die verfügbaren Einkommen der Menschen in Deutschland und Österreich gestiegen sind - in Österreich zum Beispiel um 3,2 % - , zügeln die negativen Aussichten das Kaufverhalten. Vielmehr erhöht sich die Sparquote, weil den Konsumenten für noch schlechtere Perspektiven vorsorgen. Diese liegt in beiden Ländern fast gleichauf bei ca. 11 %.

 

Bauinvestitionen sind durch die Zinsentwicklungen merklich zurückgegangen. In Österreich noch stärker als in Deutschland. Für dieses Jahr wird in Österreich mit einem Rückgang von 4,4 % gerechnet, im Vorjahr waren es sogar 9,3 %. In Deutschland liegen die Prognosen für dieses Jahr bei einem Minus von rund 3 %. In Deutschland verhindert die Sanierung und die Instandhaltung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur einen noch heftigeren Einbruch.

 

Größte Sorge bereitet mir allerdings die Investitionsschwäche in der Industrie, die wir schon seit geraumer Zeit in Deutschland und Österreich feststellen. Dies hängt wesentlich von der Entwicklung der Faktorkosten in unseren Standorten ab. Die Lohnstückkosten sind beispielsweise in den letzten Jahren, insbesondere in Österreich und Deutschland, stark gestiegen. Wir „dürfen“ uns auf diesem Gebiet leider als Spitzenreiter titulieren. Doch jeder weiß: Wenn die Lohnstückkosten schneller steigen als die Produktivität, verringert sich die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen Ländern. Das ist ein Grund für unsere Investitionsschwäche. Offensichtlich kann die Industrie diese Lücke an unseren Standorten nicht mehr schließen.

 

Ich darf dabei erwähnen, dass die durchschnittlich geleisteten Wochenarbeitsstunden (Voll und Teilzeit) bei 33,9 in Deutschland, bei 33,5 in Österreich und bei 35,9 im EU Schnitt liegen. Wenn wir nach Polen mit 37,5 Stunden oder nach Spanien mit 40 Stunden schauen, wird der Vergleich noch deutlicher.

 

Hinzu kommt: Die Energiepreise machen der deutschen und österreichischen Wirtschaft sehr zu schaffen. Vor allem unsere mittelständische Wirtschaft ist der Hauptleidtragende. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: In der Stahlerzeugung müssen Unternehmen in Deutschland durchschnittlich rund 79 Euro je Megawattstunde aufbringen, in den USA sind es umgerechnet keine 57 Euro, in China sind es unter 41 Euro. Es müssen daher dringend Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. Ansonsten laufen wir nicht nur große Gefahr, dass uns Strukturen, Technologien und Entwicklungen wegbrechen oder abwandern. Sondern auch, dass strategisch wichtige, energieintensive Industriezweige, wie die Batteriezell-Produktion gar nicht erst entstehen.

 

Sowohl für den Erhalt als auch die Ansiedlung neuer Technologie- und Industriezweige ist die äußere Sicherheit unserer Länder ist von absolut entscheidender Bedeutung. Denn: Ohne diese Sicherheit gibt es keine planbare Zukunft – weder wirtschaftlich und auch grundsätzlich nicht. Uns allen muss bewusst sein, dass es dafür aber größerer Aufwendungen bedarf, die die Finanzplanung der Länder belasten wird.

 

Blicken wir auf Deutschland: Für das Gesamtjahr 2024 ist wie soeben angerissen – auch aus Sicht vieler Wirtschaftsforscher - nur noch mit einer Stagnation zu rechnen; die Konjunkturprognose wurden bereits gesenkt. Bei schwacher Weltkonjunktur, geopolitischen Spannungen, Protektionismus und verunsichernder Wirtschaftspolitik bleibt die Lage äußerst angespannt. Licht am Ende des Tunnels ist auch mit viel Wohlwollen nicht zu erkennen. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium rechnet ebenfalls kurzfristig nicht mit einer spürbaren Belebung der exportorientierten Industrie in Deutschland.

 

Kürzlich hat der BDI eine lesenswerte Studie namens „Transformationspfade“ veröffentlicht, die als Weckruf zu verstehen ist. Über 30 Unternehmen und Verbände und mehr als 40 Expertinnen und Experten analysierten knapp ein Jahr lang die Standortbedingungen für die Industrie und industrienahe Dienstleistungen. Das Ergebnis ist deutlich: Der Industriestandort Deutschland fällt bei Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit massiv zurück.

 

Ursächlich sind insbesondere strukturelle Probleme (z.B. Energie- und Lohnkosten). Rund 20 Prozent der industriellen Wertschöpfung gelten im Durchschnitt als akut bedroht. Bei zwei Dritteln der wichtigsten Standortfaktoren liegt Deutschland mittlerweile hinter internationalen Wettbewerbern. Und bei privaten und öffentlichen Investitionsquoten lag Deutschland die letzten 30 Jahre unterhalb der Werte anderer Industriestaaten. Deindustrialisierung wird als reale Gefahr angesehen und könnte Dominoeffekte für die Gesamtwirtschaft zur Folge haben. Viel Zeit, um gegenzusteuern bleibt nicht. Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund einen kurzen Ausflug in die Autobranche machen, die aktuell eine doppelte Last stemmen muss:
 

  • Zum einen muss bei einem rückläufigen Automarkt in Europa die Transformation in die elektrische Mobilitätswelt mit enormen finanziellen Vorleistungen bewältigt werden.
  • Zum anderen verschärft sich gerade bei uns in Europa das Wettbewerbsumfeld immer weiter durch neue Anbieter, die mit ordentlichen Produkten und „gut gefüllten Kassen“ nach Europa drängen.

 

Aufgrund von sehr frühen und sehr weitreichenden Festlegungen in der Klimapolitik - Stichwort Green Deal - hat die Europäische Union den Umstieg auf die Elektromobilität politisch vorgegeben. Klar ist, ohne Elektromobilität sind die Klimaziele nicht zu erreichen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Die Elektromobilität ist die Zukunft der individuellen Mobilität! Aber, und dieses große Aber kann ich gar nicht genug betonen: Die Politik hat der Industrie Vorgaben gemacht, ohne dass die notwendige Infrastruktur vorhanden gewesen wäre und ohne darüber nachzudenken, ob die Kundinnen und Kunden mitziehen. Wir wissen heute, dass die Nachfrage nach Elektroautos in Europa weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. 

 

Die Elektromobilität wird sich durchsetzen, aber es wird mehr Zeit brauchen. Deshalb müssen die CO2-Ziele für 2025, 2030 und 2035 adjustiert und an die Realität angepasst werden.

 

Und schließlich: Die Politik hat den Technologiewechsel in der Autoindustrie vorgegeben. Das ist in Ordnung, solange die Politik Kurs hält. Das war aber nicht der Fall, denn die EU hatte keinen Masterplan für die Transformation dieser europäischen Schlüsselindustrie. Die Politik führt Debatten über Elektro- und Verbrenner-Fahrzeuge, die die Menschen verunsichern und verwirren.

 

Wir brauchen in Europa aber Klarheit und Verlässlichkeit!

 

Mario Draghi hat in einem kürzlich erschienenen Bericht zur EU-Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie ein eigenes Kapitel gewidmet und sehr klargemacht, dass die bisher gesetzten Klimaziele nicht ohne eine flankierende Industriepolitik auskommen. Hier muss die nächste EU-Kommission dringend nachbessern.

 

Die europäische Wirtschaft mit ihrer starken Automobilwirtschaft war und ist Rückgrat unseres Wohlstandes. Aber – und das muss ich bei dieser Gelegenheit auch ganz deutlich sagen – die Automobilindustrie ist in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage.

 

Um die gewohnte Stärke wiederzuerlangen und den notwendigen Wandel zur E-Mobilität erfolgreich zu bewerkstelligen, bedarf es für die Automobilindustrie eines raschen Gegensteuerns mit innovativen und vor allem wettbewerbsfähigen Produkten sowie eines starken Schulterschlusses von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Andere Regionen dieser Welt machen es uns erfolgreich vor. Das wird uns die nächsten Jahre mit Hochdruck fordern und jeder von uns wird einen Beitrag dazu leisten müssen.

 

Zurück zur konkreten Situation in Deutschland und Österreich: Die mangelnde Außenwirtschaftsdynamik hat auch unseren bilateralen Waren- und Dienstleistungsaustausch belastet. In den ersten sieben Monaten 2024 gingen deutsche Exporte nach Österreich im Jahresvergleich um knapp fünf Prozent zurück. Österreich konnte seine Exporte im selben Zeitraum erhöhen, aber unterm Strich steht ein rückläufiges Handelsvolumen.

 

Die Handelszahlen zwischen Deutschland und Österreich berücksichtigen eben nicht alles, was unsere gemeinsame internationale Verflechtung betrifft. Was von der deutschen Wirtschaft in Österreich produziert wird, geht von dort aus in die ganze Welt. So auch von den Standorten österreichischer Unternehmen in Deutschland. Wir sind gemeinsam starke Industriestandorte, die vom Export und von offenen, funktionierenden Märkten leben.

 

Doch die allmähliche Abkehr der Welt vom Freihandel greift eine der Grundlagen des wirtschaftlichen Wohlstands in Deutschland und Österreich an. Diese Entwicklung ist nicht die einzige, aber eine der großen Herausforderungen der Gegenwart. Denn die Gefährdung des Exports trägt nicht nur zur aktuellen Schwäche der deutschen und österreichischen Wirtschaft bei, sie rüttelt an den Grundfesten unserer Wirtschaftsstandorte.

 

Um auf den Wachstumspfad in der Außenwirtschaft zurückzukehren, müssen wir gemeinsam Maßnahmen setzen und diese mit Elan angehen. So gilt es, sämtliche Freihandelsabkommen unverzüglich beim Schopf zu packen, denn unsere Exportwirtschaften haben von neuen Marktmöglichkeiten immer am meisten profitiert. Besonders wichtig ist es, bei diesem Thema auch nach innen zu wirken: Die Exportwirtschaft muss unseren, nur im Binnenmarkt tätigen, klarmachen, was auf dem Spiel steht. Gerade in einer Zeit, in der weltweit über Strafzölle diskutiert wird, müssen wir die Folgen klarstellen.

 

Für die Deutsche Handelskammer in Österreich und damit für die deutsche Wirtschaft in Österreich ist der Schulterschluss mit der österreichischen Wirtschaft von besonderer Bedeutung. Nicht nur die aktuelle Lage lässt uns nach gemeinsamen Lösungen suchen, sondern auch die gegenseitige Entwicklung der Stärken müssen wir intensiver betreiben.

 

Wir werben für mehr gemeinsames Wirtschaften, für mehr Technologieaustausch und für mehr gemeinsame Projekte auf Drittmärkten. Vor allem im Energiesektor kann uns das sehr gut gelingen. Wir werben aber auch um mehr Abstimmung, wenn es darum geht, die Wirtschaftsinteressen, insbesondere beim Bürokratieabbau, wahrzunehmen.

 

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die deutsche und österreichische Wirtschaft das Potenzial und das Know-how hat, die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Wir können die Erfolgsgeschichte unter den neuen, herausfordernden Rahmenbedingungen fortschreiben, den Wohlstand aus der eigenen Stärke heraus sichern und zugleich den Klimawandel bekämpfen, um den zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt bieten zu können.

 

Vielen Dank."

Das könnte Sie auch interessieren

In den Kategorien:

Suchen Sie etwas Anderes?

In unserem Info-Center finden Sie die neusten Veranstaltungen, Neuigkeiten, Downloads, Videos, Podcasts,...

Zum Info Hub